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Masterabschluss mit Summa cum Laude: Cornelius Gesing über Branding als Lösung für den Fachkräftemangel in der EU

Hallo Cornelius, Du hast im März Deinen Master in Brand Innovation mit der Auszeichnung „summa cum laude“ abgeschlossen. Herzlichen Glückwunsch!

Worum ging es in deiner Abschlussarbeit?

Ich danke euch für die Glückwünsche! In meiner Abschlussarbeit wende ich grundlegende Gedanken des Brand-, Innovation und Communication Managements auf die Europäische Union und ihre Werte an. Dabei beschäftigt mich der Gedanke, wie klassische Branding und Marketing-Instrumente auf abstrakte Werte wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bildung und Gerechtigkeit angewendet werden können. Meine Arbeit ist dabei im Europäischen Jahr der Kompetenzen 2023 platziert. Jedes Jahr ruft die Europäische Kommission (EC) ein Europäisches Jahr aus. In diesem Jahr werden besondere finanzielle Mittel bereitgestellt und Aspekte rund um das Thema auf der internationalen politischen Agenda platziert. Dieses Jahr steht die Bekämpfung des Fachkräftemangels im Fokus. Damit hat sich die EC einem umfassenden Problem gewidmet, das die meisten Länder der Union beschäftigt und tief mit anderen Krisen verwoben ist. Dies führe ich in meiner Arbeit mit dem Begriff Polycrisis aus. Dieser Begriff suggeriert, dass die Probleme, in denen wir uns tagtäglich befinden, als ein großes Kollektiv zu verstehen sind, in dem einzelne Krisen im dynamischen Spannungsverhältnis zueinander stehen und intersektional zu betrachten und zu lösen sind. In meiner Arbeit stelle ich den Zusammenhang zwischen der Krise des Fachkräftemangels und der sogenannten Migrationskrise dar. Hierbei ist klar zu vermerken, dass niemals Menschen selbst eine Krise sind, sondern die Systeme, in denen sie agieren. Es sind also z.B. keineswegs Schutzsuchende an der Küste Lesbos die Krise, sondern dass es bis heute keine adäquate und menschenrechtsachtenden Lösungsansätze gibt, die Wohlstand für alle ermöglichen. Mit meiner Arbeit möchte ich daher zeigen, welche Vorteile es bietet, im Europäischen Jahr der Kompetenzen, Migration und Fachkräftemangel zusammenzudenken. Dafür habe ich mit Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen und versucht zu verstehen, mit welchen Motiven und Bedürfnissen sie migrieren. Auf diese Erkenntnisse stützend, habe ich Kommunikationskonzepte entworfen, mit denen die EU/EC effektiv jede Zielgruppe erreichen kann. Es bedarf dabei unbedingt eines strategischen Kommunikationsprozesses, um sicherzustellen, dass Menschen mit Migrationshintergrund wirklich verstanden werden, nicht als billige Fachkräfte zur Sicherung des Wohlstandes im Globalen Norden angesehen werden, und sich als Teil der europäischen Gesellschaft sehen können.

Wie bist Du auf die Idee zu diesem Thema gekommen?

Für das Praxisprojekt im dritten Semester habe ich mich bei der Europäischen Kommission in Brüssel für ein Praktikum im Pressebereich beworben. Für sechs Wochen hatte ich die Gelegenheit, Sonya Gospodinova (Pressesprecherin der EC für Binnenmarkt, Verteidigungsindustrie und Raumfahrt sowie Bildung, Jugend, Sport und Kultur) und ihr Team in der täglichen Arbeit zu begleiten. Dabei habe ich wertvolle Einblicke in die Themenbereiche erhalten und viel Inspiration aus ihrer Arbeitsweise geschöpft. Als ich vor Ort war, wurden gerade die ersten Schritte zum Europäischen Jahr der Kompetenzen eingeleitet. Schnell stand für mich fest, dass ich mit meiner Masterarbeit einen kleinen Beitrag dazu leisten will. Zusammen mit meinen Prüfern Michael Kress und Maik Riggers habe ich mich parallel über Brand Innovation-Konzepte sowie demokratiepolitische Ideen verschiedener Autor*innen ausgetauscht. Beides waren wichtige Schritte für meine spätere Arbeit.

Inwiefern hat das Masterstudium mit internationalen Kommiliton*innen Deine Sicht auf das Problem geprägt?

Während meines Studiums bei der BU hatte ich oft das Gefühl, dass ich in einem Hostel studiere. Sei es der Austausch von Ideen in Gruppen mit Studierenden aus China, Chile, Frankreich, Deutschland und Taiwan, das Pitchen von Strategien vor Partner*in mit ebenso vielen Nationalitäten oder einfach das Trinken eines Kaffees auf dem Balkon in der Pause mit Kommiliton*innen aus 20 verschiedenen Ländern. Dies ist ein inspirierendes Umfeld. Es ist dieses kollektive kreative Arbeiten, strategisches Denken und professionelles Umsetzen, das gezeigt hat, wie wertvoll internationale und diverse Teams sind. Ich konnte feststellen: Je diverser das Team, desto durchdachter das Konzept.
Mit jeder Gruppenarbeit wurden mir dabei auch die Schwierigkeiten Studierender anderer Länder bewusst. Oftmals sind sie mit der Bürokratie, dem Finden eines Arbeitsplatzes in Deutschland, dem Umrechnen von Credit Points von Universitäten aus dem Ausland oder auch mit Sprachproblemen konfrontiert. All dies sind Herausforderungen, die ich zwar auf dem Schirm hatte, aber deren Ausmaß ich mir nicht bewusst war. Es zeigt klar die eigenen Privilegien auf, in denen man durch das Leben navigiert.

Was sind die Hauptgründe für den Fachkräftemangel in der EU?

Um es kurz zu machen: wie immer ist alles komplex. Der Fachkräftemangel betrifft die meisten europäischen Länder. Je nach demografischer Zusammensetzung, Veränderung der Wirtschaft im Land, dem Zusammenspiel aus Angebot und Nachfrage, der Komplexität der Bürokratie, fehlender Aus- und Weiterbildungschancen und – tatsächlich auch – das Abwandern von Fachkräften in andere Länder, betrifft es einige Staaten mehr und andere weniger. Insgesamt ist die Zahl der Arbeitslosen so niedrig und die Zahl offener Stellen so hoch wie nie zuvor. Drei Viertel der Unternehmen in der EU haben Schwierigkeiten bei der Suche nach Fachkräften, nur knapp ein Viertel aller Erwachsenen in Europa machen eine Weiterbildung und nur vier von zehn Erwachsenen sowie jede dritte Arbeitskraft in der EU haben grundlegende digitale Kompetenzen. Dies verschärft die Krise.

Welche Motive und Bedürfnisse haben junge Menschen, um in die EU zu emigrieren?

Meine Masterarbeit ist qualitativer Natur. Daher kann ich hierzu nur grobe Einblicke geben. Meine Zielgruppe war bewusst jung (Personen zwischen 15 und 25 Jahren) angesetzt, da diese Gruppe besonders interessant im Rahmen des Fachkräftemangels ist.
Klare Unterschiede in der Motivlage kann man bei Schutzsuchenden und Menschen, die aus eigenem Antrieb migriert sind, feststellen. Daher ist eine separate Ansprache dieser Gruppen anhand unterschiedlicher Motive eine zentrale Erkenntnis meiner Arbeit.
In meiner Arbeit identifiziere ich Achievability und Availability als zentrale Faktoren der Migration heraus. Um auf die Idee zu kommen, ins Ausland zu gehen, muss man sich zunächst bewusst sein, dass dies überhaupt eine Option ist. Dazu sind finanzielle Mittel erforderlich, z. B. die Bezahlung einer Agentur für die Organisation, das Buchen von Fahrkarten, ein Sparkonto zum Nachweis gegenüber den Behörden im Zielland und, je nach Reise, Geld für neue Pässe, Schmuggler und im Zielland Unterkunft, Verpflegung und Möglichkeiten zum Überleben und/oder zur Weiterbildung.
Schutzsuchende sind dabei meist mit dem Verlust von Heimat, engen Verwandten, Liebsten, einem vertrauten Umfeld, Neuanfängen und weiteren Umständen konfrontiert. In meiner Arbeit durfte ich mit Schutzsuchenden sprechen, die aus dem Iran, der Ukraine oder auch Syrien vor Verfolgung, Unterdrückung und sogar Haftstrafen geflohen sind. Enge Verwandte wurden vom Regime ermordet, ihr Eigentum durch Bomben zerstört und ein Leben in Freiheit stark limitiert. Hier konnte ich identifizieren, dass sie je nach Grad der Perspektivlosigkeit/-fülle Migration in Betracht ziehen. Ferner kommen oft nur Orte in Frage, an denen entweder bereits Bekannte oder Familienmitglieder wohnen oder gelebt haben. Da sie oft keine andere Wahl als Flucht haben, lässt sich feststellen, dass Bildung, das Bauen einer Zukunft oder Selbstverwirklichung selten eine Rolle spielen. Stattdessen sind Motive wie Krieg, das Sehnen nach Freiheit und vor allem der Wunsch nach grundlegenden Bedürfnissen zentral. Alles ist unwichtig, wenn man kein Dach über dem Kopf, nichts zu essen oder trinken hat oder täglich Schüsse vor der Tür zu hören sind. Daher sind genannte Bedürfnisse bei Schutzsuchenden sehr pragmatisch ausgelegt und beschreiben oft das, was ihnen genommen wurde. So sind Bedürfnisse nach Autonomie, einem fixen Lebensmittelpunkt und insgesamt die physische Sicherheit hoch zu bewerten.
Menschen, die aus eigenem Antrieb migriert sind, zeigen hingegen Motive wie Selbstverwirklichung, das Bildungssystem in Deutschland, den Arbeitsmarkt im Heimatland oder auch den Plan, eine eigene Zukunft aufzubauen. Sie haben einen emanzipierten und selbstaktivierenden Blick auf ihr Möglichkeitsfeld. Auch hier kommen oft nur Länder als Zielort infrage, in denen Bekannte oder Freund*innen bereits leben oder Erfahrungen gemacht haben. Die Gruppe zeigt zudem den Wunsch nach Sinn im eigenen Leben und danach einen Impact in der Welt zu kreieren.

Was können Länder wie Deutschland besser machen, um ein attraktiverer Bildungs- und Arbeitsstandort zu werden?

Vorhaben wie das Europäische Jahr der Kompetenzen sind ein wichtiger Ansatzpunkt, um Länder der EU zu einem attraktiven Bildungs- und Arbeitsstandort zu machen. Investitionen in die Aus- und Weiterbildung, Umschulungen und die enge Zusammenarbeit mit Unternehmen sowie Sozialpartner*innen spielen hierbei eine Rolle. Es müssen Kompetenzen breitflächig vermittelt werden, die eine zunehmend wichtige Bedeutung einnehmen. Dabei sind auch zukünftige Entwicklungen, die der ökologische und digitale Wandel mit sich bringt, jetzt schon wichtig mitzudenken.
Zentral ist aus meiner Sicht ein Aspekt, den die EC in ihrem Projektplan dieses Jahr nennt: Personen aus dem nicht-europäischen Ausland sollen mit den benötigten Kompetenzen ausgestattet und angeworben werden. Hierbei spielt besonders die Anerkennung von bereits bestehenden Qualifikationen eine Rolle sowie Beschleunigungen im Integrationsprozess und Anpassung der Bürokratie. Daran anschließend spreche ich mich besonders für eine feministische Perspektive aus, die neben Frauen und Kindern alle marginalisierten Gruppen in Fokus setzt. Wir müssen endlich in allen Bereichen jene Menschen in den Mittelpunkt rücken, ihnen aktiv zuhören und Entscheidungsgewalt verleihen, die jahrzehnte- und jahrhundertelang Unterdrückung erfahren haben. Daher sind in meiner Arbeit klar jene die Expert*in, die es auch wirklich sind, wenn man über Migration spricht: Menschen mit Migrationshintergrund. Es geht hier stark um die Demokratisierung und Anerkennung von Wissen in unserer Gesellschaft.

Inwiefern spielt Branding eine Rolle in Bezug auf das Thema Fachkräftemangel?

Branding und ähnliche Strategien und Konzepte wie z.B. Marketing kann Kontakt zwischen Unternehmen und Kunden herstellen und sie an sie binden. Da frage ich mich, wieso diese Konzepte nicht noch stärker auf jene Bereiche angewendet werden, die uns Menschen kollektiv gesellschaftspolitisch tangieren. Positives Branding ist nicht nur relevant für das Vermarkten von Zahnpasta, sondern auch, um Talente und Fachkräfte effektiv zu erreichen, sie zu überzeugen und langfristig zu binden. Meine Arbeit zeigt, wie Branding im demokratiepolitischen Kontext angewendet werden kann. Dabei orientiere ich mich an den klassischen Schritten im Kommunikationsprozess, wähle aber das Thema Fachkräftemangel. Diese Kombination ermöglicht es, reale gesellschaftliche Probleme systematisch anzugehen und kreativ zu lösen. Durch positives Branding könnten Fachkräfte für den Care-Sektor angesprochen werden, Menschen aus dem Ausland zum Migrieren überzeugt werden, Ausbildungsprogramme zu Handwerksberufen effektiv vermarktet und so dem Fachkräftemangel begegnet werden. Es ist ungemein lohnenswert, darüber nachzudenken, einfach mal das Produkt im Case mit einem Konzept wie Demokratie, Freiheit oder Gerechtigkeit auszutauschen und zu sehen, was dann passiert.

Wie geht es nach dem Studium für Dich weiter?

Derzeit arbeite ich freiberuflich als Kreativ- und Kommunikationsgeneralist. Dabei liegt der Fokus meiner Arbeit auf demokratiepolitischer Kommunikation für Generation Z. Als Moderator und Konzepter bin ich dabei im Kosmos rund um Transformationsdesign, Utopien, Politische Bildung und das Gestalten einer nachhaltigen und gerechten Zukunft unterwegs. Als Chefredakteur des jungen Politikmagazins der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, GENZ, lote ich mit Nachwuchsdenker*innen Zugänge gesellschaftlicher Teilhabe aus und bereite unsere kommende Sommerausgabe vor. Zudem bin ich dieses Jahr als Moderator noch auf verschiedenen Konferenzen unterwegs. Aktuell lerne ich Französisch, um perspektivisch nach Brüssel zurückzukehren und weiter an europäischen Ideen und Lösungen mitzuarbeiten.

Vielen Dank, Cornelius, für den spannenden Einblick in Deine Arbeit und Deine Erkenntnisse zur Verbindung von Branding und Marketing mit dem komplexen Problem des Fachkräftemangels in der EU. Wir wünschen Dir viel Erfolg auf Deinem Weg nach dem Abschluss!